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Nummer gegen Kummer

Mit Verunsicherung konstruktiv umgehen

An den Beratungstelefonen der Nummer gegen Kummer geben die ehrenamtlichen Berater*innen Kindern, Jugendlichen und Eltern ein offenes Ohr für ihre Nöte, Sorgen und Ängste. „Sowohl bei Kindern als auch bei Eltern macht sich eine tiefsitzende Verunsicherung bemerkbar. Keine Überraschung bei den Dauernachrichten zu steigender Inflation, Energiekrise, Krieg und der immer noch anhaltenden Pandemie“, merkt Matthias Hoffmann, Koordinator der Landesarbeitsgemeinschaft Nummer gegen Kummer, im Landesverband des Kinderschutzbundes Schleswig-Holstein, an.

Die Ängste der Erwachsenen erreichen auch die Kinder. Zu Beginn des Ukraine-Krieges fragte ein 12-Jähriger eine der ehrenamtliche Berater*innen am Kinder- und Jugendtelefon: „Glauben Sie, dass jetzt der 3. Weltkrieg kommt?" Deutlich wurde in diesem und weiteren Beratungsgesprächen, dass Kinder und Jugendliche vielfach von ihren Eltern, die selbst zum Teil sehr belastet sind, keine Antworten erhalten, die ihnen die Sorgen nehmen könnten. „Denn Kinder und Jugendliche wissen sehr wohl zu unterscheiden, ob etwas nur ihrer Beruhigung dienen soll oder aber ob eine wirkliche Überzeugung dahintersteht“, erläutert Brigitte Bischoff, Koordinatorin des Kinder- und Jugendtelefons am Standort Lübeck in Trägerschaft der Gemeindediakonie. „Und so müssen nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die Kinder und Jugendlichen lernen, mit dauerhafter Unsicherheit umzugehen“, so Brigitte Bischoff weiter.

Die anrufenden Kinder und Jugendlichen sprechen auch Unsicherheiten in familiären Situationen an: „Ich habe Angst, dass meine Eltern sich scheiden lassen, in letzter Zeit streiten sie so oft." Oder aus dem schulischen Bereich: „Alles hat sich verändert seit Corona, ich traue mich nicht mehr recht auf die anderen zu. Ich habe Angst, abgewiesen zu werden." Oft können Kinder und Jugendliche sehr deutlich zwischen einem vorher und nachher benennen. „Vor der Pandemie hatte ich keine Probleme damit, Kontakte zu schließen. Jetzt denke ich oft, alle anderen finden mich komisch".

Sich selbst auch nicht mehr als lebensfroh und kompetent in der Bewältigung des Alltags zu erkennen, verunsichert die Kinder und Jugendlichen auch stark. Und so stellt sich noch einmal mehr die Frage: „Wer bin ich eigentlich?", schließt Brigitte Bischoff.

„Eltern wollen ihre Kinder schützen und versuchen deshalb oft, ihre eigenen Ängste und Unsicherheiten in Bezug auf die aktuelle Weltlage, die Pandemie, die Inflation etc. zu verbergen, indem sie vermeiden mit Ihren Kindern darüber zu sprechen“, stellt Silke Hüttmann, Koordinatorin des Elterntelefons am Standort Neustadt i. H. in Trägerschaft des Kinderschutzbundes Kreisverband Ostholstein. Da es in der heutigen Zeit unrealistisch sei, Kinder von Nachrichten fernzuhalten, könne das Vermeiden von Gesprächen für Kinder problematisch werden. „Kinder haben sehr feine Antennen und bekommen in der Regel mit, wenn ihnen ihre Eltern etwas verschweigen. Dadurch können bereits vorhandene Ängste und Sorgen bei den Kindern noch verstärkt werden und die Hilflosigkeit der Eltern wird größer“, beschreibt Silke Hüttmann einen Kreislauf. Eltern, die in einer bis vor zwei Jahren als sicher empfundenen Lebenswelt erwachsen geworden seien, müssten sich jetzt erst einmal selbst in einer für sie immer unsicher werdenden Lebenswelt orientieren und zurechtfinden.

„Am Elterntelefon haben die Eltern die Möglichkeit über ihre eigenen Ängste und Sorgen zu sprechen und nach Lösungsansätzen zu suchen. Sie werden jedoch auch darin ermutigt, mit ihren Kindern je nach Alter ins Gespräch zu gehen, um ihnen bei der Einordnung der aktuellen Geschehnisse zu helfen. Oder auch ganz praktisch gemeinsam nach Möglichkeiten zu schauen, was man als Familie unternehmen kann, um z. B. Energie einzusparen oder um anderen Familien zu helfen. So können sich Kinder gemeinsam mit ihren Eltern als selbstwirksam erleben und fühlen sich dem Ganzen nicht einfach ausgeliefert“, führt Silke Hüttmann weiter aus.

„Darüber reden hilft – sich zu entlasten tut gut und eröffnet im besten Fall neue Perspektiven. Für viele Eltern kann die Beantwortung der Frage schon sehr hilfreich sein, wie viel Unsicherheit gehört zu meinem Leben und wie kann ich damit umgehen. Jugendlichen fehlt häufig eine Routine, sich den Tag zu strukturieren. Dabei geht es ganz klar auch um den souveränen Umgang mit Medien, um mit der Flut von verunsichernden, teilweise verstörenden Nachrichten klarzukommen. Für Kinder ist der Wieder- oder häufig sogar Neueinstieg nach der Aufhebung der Kontaktbeschränkungen durch die Pandemie in einen strukturierten Alltag mit Schule, Freunden, Hobbys eine Herausforderung“, stellt Matthias Hoffmann fest.


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